„Ich wollte aus meinen Frustrationen lernen“

Auf Oscar-Kurs: Das unwahrscheinliche Comeback des Brendan Fraser

Warmlaufen bei den Oscars: Brendan Fraser beim Lunch der Nominierten Mitte Februar.

Warmlaufen bei den Oscars: Brendan Fraser beim Lunch der Nominierten Mitte Februar.

Brendan Fraser war lange weg aus Hollywood. Als Actionstar verschwand er irgendwann Anfang des Jahrtausends von der Bildfläche. Bekannt geworden war er in „Steinzeit Junior“ (1992) als Höhlenmensch, den es ins Heute verschlägt. Frasers größter Erfolg: Die „Mumie“-Trilogie (1999, 2001, 2008), in der er sich als Abenteurer mit bandagierten Untoten herumschlug. In „George – der aus dem Dschungel kam“ (1997) lief er vorzugsweise im Lendenschurz über die Leinwand.

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Bei seinem Oberkörper konnte sich der Sohn kanadischer Eltern das leisten. Hart arbeitete er an dem Image als Muskelpaket mit Selbstironie („Ich sah mich als ein wandelndes Steak“). Er erlitt aber auch immer wieder Verletzungen. Stunts übernahm er zumeist selbst. Im ernsten Fach tat er sich dagegen schwerer („Gods and Monster“, „Der stille Amerikaner“).

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Jetzt aber ist Fraser wieder da, und die Veränderung ist phänomenal. Als zartbesaiteter 54-Jähriger steht er derzeit bei Preisverleihungen auf Hollywoods großen Bühnen und weint, wenn er wieder mal eine Trophäe abgeräumt hat. Und für seine Rolle im Kinodrama „The Whale“ (deutscher Kinostart: 27. April) räumt er viele Preise ab.

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Fraser spielt den schwer adipösen Vater Charlie, der auf seiner letzten Lebensetappe Frieden mit seiner Teenager-Tochter Ellie schließen will. Ellies Mutter hatte der Universitätsdozent Charlie einst für einen Mann verlassen und damit den Kontakt zur Tochter verloren. Nun hofft er auf die Vergebung Ellies.

Mit dieser Rolle könnte Fraser am Sonntag den Oscar gewinnen. Dann dürften im Dolby Theatre wieder Tränen fließen, wohl auch im Publikum. Ein Comeback wie dieses liebt die Filmmetropole – und Will Smith ist ein solcher Auftritt noch nicht vergönnt: Er hat nach seinem Ohrfeigen-Eklat im Vorjahr Hausverbot.

Zuvorkommend und überhöflich

Aber wie ist dieser Brendan Fraser, wenn man ihm abseits der Öffentlichkeit begegnet – wenn auch nur auf einem Videobildschirm? Da sitzt ein leicht rundlicher Herr mit dicker Brille. Ausgesprochen zuvorkommend und überhöflich spricht er in die Computerkamera. Wäre man nicht über Tausende von Kilometern und durch den Atlantik voneinander getrennt, würde er einem wohl sogleich eine Tasse Kaffee einschenken.

Ist Fraser frustriert über diese seltsame Kinowelt, die ihn zwischendurch vergessen hatte? „Nun, schauen Sie jedem anderen Schauspieler in die Augen und stellen Sie ihm dieselbe Frage. Alle werden Ihnen sagen, dass der Job auf Dauer nicht einfach ist. Ich habe das Glück, auf eine mehr als 30-jährige Karriere zurückblicken zu können. Es ging aufwärts, es ging abwärts. Das ist ganz normal. Wenn es jemals Frustrationen gab, dann wollte ich daraus lernen, was ich besser hätte machen können.“

Das mit den Frustrationen ist eine höfliche Untertreibung: Ungezählte Operationen an seinem malträtierten Körper liegen hinter Fraser, an den (inzwischen zum Teil künstlichen) Knien, an der Wirbelsäule, auch an den Stimmbändern. Über Jahre musste er immer wieder unters Chirurgenmesser – die Folgen seiner Einsatzbereitschaft vor der Kamera. Dazu kamen persönliche Tragödien wie die Scheidung von seiner Frau. Sie zog mit den drei Kindern aus. Er blieb allein zurück. Die Höhe seiner jährlichen Unterhaltszahlung: 900.000 Dollar. So viel hatte er nicht.

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Traumatisches Mittagessen

Und dann war da noch ein traumatisches Mittagessen im Sommer 2003 im Beverly Hills Hotel, organisiert von der Hollywood Foreign Press Association, jener Vereinigung, die die Golden Globes vergibt und gerade versucht, aus einem Strudel von Korruptions- und Rassismusvorwürfen wieder aufzutauchen. Deren damaliger Präsident Philip Berk wurde sexuell übergriffig. Er fasste Fraser an Hintern und Brustwarze, wie Fraser es viel später selbst erzählt hat.

Der große, starke Brendan Fraser war plötzlich ein #MeToo-Opfer, auch wenn das damals noch nicht so hieß. Berk entschuldigte sich trotz Aufforderung nicht. Auch damit wurde Fraser nicht fertig. Er versank nach eigenen Angaben in Depressionen.

Was also hätte er in den vergangenen Jahren besser machen können? Und wie hat er den Weg zurück vor der Kamera gefunden? „Die einfache Antwort ist, dass man immer wieder an die Arbeit gehen muss. Wenn ich nicht arbeite, schieße ich die ganze Zeit mit Pfeil und Bogen auf eine Zielscheibe im Hinterhof oder spiele auf der Gitarre. Wir lieben unseren Beruf, mit allem Drum und Dran. Und so lange wir noch einen Termin haben, den wir einhalten müssen, so lange wir den Zettel haben, auf dem steht, dass wir um 4 Uhr morgens da sein müssen, machen wir den Job.“

Fraser spricht melodisch, und er wählt gern umständliche Formulierungen. Er liebe die Literatur, sagt er. Und um die geht es in „The Whale“ auch: „Man könnte den Filmtitel als schlechten Witz oder gar als Beleidigung der übergewichtigen Hauptfigur verstehen. Wer den Film gesehen hat, weiß, dass dem nicht so ist. Es handelt sich um eine Anspielung auf Herman Melvilles Roman „Moby Dick“. Es geht um einen metaphorische Wal, den wir alle in unserem Leben jagen.“

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Es war „Black Swan“-Regisseur Darren Aronofsky, der Fraser aus seiner persönlichen Misere herausholte. Er sah in „The Whale“ Frasers Chance, sich von einer bislang unbekannten Seite zu zeigen. Vielleicht hat Aronofsky aber auch gespürt, dass Fraser seine eigene Leidensgeschichte auf die Filmfigur Charlie würde übertragen können.

In dieser Rolle macht Fraser aus wenig viel: Er hockt beinahe die ganze Zeit in einem abgedunkelten Apartment und trägt einen sogenannten Fatsuit, einen schweren Fettanzug. Sein Gesicht ist – danke Maske – aufgeschwemmt. Seine Kinofigur wiegt, so heißt es, 270 Kilo.

„Ein Gefühl des Schwankens“

Wie sehr hat dieses Gewicht auf seinem Spiel gelastet? „In anderen Filmen mit Fettanzügen werden diese gern verniedlicht, indem man einen athletischen Schauspieler in ein Kostüm steckte, das mit einer Polsterung gefüllt ist, wie sie auch für Plüschtiere verwendet wird. Alles, was wir bei „The Whale“ gemacht haben, um Charlie zu erschaffen, stand in krassem Gegensatz dazu. Wir strebten nach Authentizität. Ich brauchte Stunden, um in den schweren Anzug hineinzukommen. Am Ende des Tages spürte ich ein Gefühl des Schwankens, fast wie einen Schwindel. Kennen Sie das, wenn Sie von einem Boot auf einen Steg steigen? Menschen, die unter Fettleibigkeit leiden, spüren das ständig. Die Welt ist grausam gegenüber Menschen, die mit Fettleibigkeit leben. Charlie ist mehr als nur adipös.“

Was meint Fraser mit dieser Formulierung? „Charlie ist ein Vater. Er ist ein Mann mit Fehlern, aber auch mit Tugenden. Und er steckt in großen Schwierigkeiten, da seine restliche Lebenszeit kurz bemessen ist. Er hofft, dass er seine einstigen Entscheidungen in der ihm bleibenden Zeit rückgängig machen kann. Er möchte sich mit seiner Tochter versöhnen. Als ich das allerletzte Mal aus Charlies Körper herauskletterte, war das etwas Besonderes. Ich war aufgewühlt, bewegt. Ich hatte das Gefühl, eine Zeit lang in seinem Leben gelebt zu haben.“

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Frasers härtester Oscar-Konkurrent am Sonntag dürfte Austin Butler sein, der in „Elvis“ ebenjenen Elvis Presley mit viel Ekstase verkörpert. Butler hat durchaus Siegchancen, zumal er einige Songs selbst singt. Aber Butler verfolgt keine Mission, so wie es Fraser augenscheinlich tut.

Es ist, als wolle Fraser seine Figur Charlie in seinem Unglück trösten: „Ich weiß, wie man liebt, und ich kann mich mit den Gefühlen Charlies identifizieren. Es ist für mich eine zutiefst traurige Vorstellung, dass ein Mann sein eigenes Kind im Stich gelassen hat. Der Höhepunkt des Films ist, wenn Charlie und seine Tochter Ellie sich endlich gegenüberstehen. Ich hatte das Gefühl, mit dieser Rolle Tausenden von Menschen mit Fettleibigkeit eine Stimme zu geben.“

Und dann lastet Fraser dem Kino eine schwere Bürde auf: „Hoffentlich verändert diese Geschichte Herzen und Köpfe. Ich gehe jetzt mal ein Risiko ein: Ich sage Ihnen, dass ich fest daran glaube, dass dieser Film sehr wohl auch jemandem das Leben retten kann.“

Kino, das Leben retten kann? Das klingt pathetisch, aber wer Brendan Fraser begegnet ist, glaubt ihm, dass er das ernst meint. Womöglich hat er in diesem Moment auch an sich selbst gedacht.

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