Wissenschaftler im Kolonialismus: der Kinofilm „Der vermessene Mensch“
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Wer lernt hier von wem? Ethnologe Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) begegnet Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama) in Berlin.
© Quelle: Julia TerjungJulia Terjung
Ein abenteuerlustiger Wissenschaftler im Kino? Da fällt einem „Indiana Jones“ ein. Aber das ist kein ernst zu nehmender Forscher, sondern ein peitschenschwingender Superheld mit Hut und viel Selbstironie (in Gestalt von Harrison Ford gerade unterwegs zu seinem fünften Leinwandabenteuer). Ein Fantasyheld wie er ist in Lars Kraumes Historiendrama „Der vermessene Mensch“ nicht zu entdecken – auch wenn hier ein Forscher im Safarilook zur Pistole greift.
Hauptfigur ist der Ethnologe Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher). An seinem Beispiel erzählt Kraume von düsterer deutscher Geschichte, die bis in unsere Gegenwart hineinragt. Als Sympathieträger taugt Hoffmann nur zu Beginn des Films. Dann aber wird er als Wissenschaftler zum Profiteur des Genozids an Hereros und Namas in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Das ist nur eine von mehreren ungewöhnlichen Entscheidungen des Regisseurs Kraume: Werden Kinohelden sonst auf ihrem Weg geläutert, ergibt sich sein Ethnologe hier mehr und mehr den rassistischen Ideologen.
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Lars Kraume ist spezialisiert auf die kritische Aufbereitung deutscher Historie („Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Das schweigende Klassenzimmer“). Nun nähert sich der Filmemacher einem wenig beachteten Aspekt, dem deutschen Kolonialismus und dessen Folgen bis heute. Deutschland hat mittlerweile zwar den Völkermord an Hereros und Namas anerkannt und ein Aussöhnungsabkommen mit der namibischen Regierung ausgehandelt. Doch fühlen sich die eigentlichen Opfergruppen dabei übergangen.
Gedreht hat Kraume vor Ort in Namibia und mit einheimischen Kräften vor und hinter der Kamera. Er nimmt ausdrücklich die Perspektive der deutschen Täter ein. Jede andere hätte er nach eigenen Worten als Anmaßung empfunden.
Naiver Idealist
Wir lernen Hoffmann kennen als naiven Idealisten, der mutig seine Position vertritt: Anders als sein Professor Josef Ritter von Waldstätten (Peter Simonischek) glaubt der angehende Wissenschaftler beim Vermessen von Schädeln nicht an Rassetheorien und die naturgegebene intellektuelle Überlegenheit der Europäer. Das könnte ihn seine universitäre Karriere kosten, wie ihm der nur scheinbar so joviale von Waldstätten erklärt.
Bestärkt wird Hoffmann in seinen Überzeugungen zunächst durch seine Erfahrungen bei der „Deutschen Kolonial-Ausstellung“ 1896 in Berlin. Dort lernt er die „Wilden“ aus dem südlichen Afrika näher kennen. Zum Ergötzen der Zuschauer müssen sie halb nackt und in Kriegsbemalung tanzen. Die Abordnung spielt das unwürdige Spiel mit. Sie hofft, Kaiser Wilhelm bei einer Audienz zu weniger Gewalt in der deutschen Kolonie zu bewegen.
Mit der Herero-Dolmetscherin Kezia Kambazembi (die namibische Schauspielerin Girley Charlene Jazama) freundet sich Hoffmann näher an. Nicht zuletzt wegen ihr meldet er sich später zu einer Expedition nach Südwestafrika. Er gerät mitten hinein in den Vernichtungsfeldzug gegen Hereros und Namas, befohlen von dem unbarmherzigen Generalleutnant Lothar von Trotha.
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In all dem Chaos macht sich Hoffmann auf die Suche nach Kambazembi. Die deutschen „Schutztruppen“ haben Hereros und Namas in die Wüste getrieben und versperren ihnen die Zugänge zu den Wasserstellen. Unter sengender Sonne haben die Soldaten – die schon damals so bezeichneten – Konzentrationslager errichtet, in denen die Internierten an Hunger und Krankheit sterben.
Bei einem konventionellen Historienfilm wäre diese Suche wohl in einer fragwürdigen Romanze geendet. Der Regisseur wählt einen glaubhafteren Zugang (mit einem umso bitteren Finale) – so wie er es auch tunlichst vermeidet, spektakuläre Schlachtengemälde zu inszenieren, von denen eine allzu große Faszination hätte ausgehen können.
Vorrangig interessiert sich Kraume für die Entwicklung seines Protagonisten: Der äußerlich verwahrloste und von inneren Dämonen getriebene Hoffmann ist mehr und mehr bereit, den Wünschen seines Berliner Professors nachzugeben. Er wird zum Jäger der Schädel von ermordeten Hereros, nach denen an deutschen Universitäten unstillbare Nachfrage besteht. Der Ethnologe entpuppt sich als Vorgänger jener moralisch enthemmten Wissenschaftler, die wenige Jahrzehnte später im Nationalsozialismus ihre fürchterlichen Menschenversuche anstellen werden.
Vor neun Jahren hat Fatih Akin in „The Cut“ einen anderen Völkermord zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschildert, den der Türken an den Armeniern. Seine Version geriet hölzern. Kraume bleibt bei der Figurendarstellung differenziert und bettet seinen Film in gesellschaftshistorische Zusammenhänge ein. „Der vermessene Mensch“ ist ein spannender Unterhaltungsfilm, ebenso aber ein Stück Aufklärung über deutscher Kolonialgeschichte.
„Der vermessene Mensch“, Regie: Lars Kraume, mit Leonard Scheicher, Girley Charlene Jazama, Peter Simonischek, 116 Minuten, FSK 12